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Gehirn Feng Shui

12. März 2022

Ist das nicht furchtbar trocken?“. Diese Frage und ein zweifelnder Gesichtsausdruck waren häufige Reaktionen auf die Auskunft über mein Literaturstudium.


Nichts hätte mich mehr verwundern können als diese Annahme. Zudem sie doch meist von Menschen kam, die eher nur zum Vergnügen lasen und die Freude an der Qual noch gar nicht kannten- In diesem Zusammenhang verweise ich gern auf „Unendlicher Spaß“ von David Forster Wallace oder auch „House of Leaves“ von Mark Z. Danielewski.
Ein weiterer Platzhirsch unter den Erstreaktionen war: „Das ist ja total nutzlos. Was willst du denn damit anfangen?“.

Ich bin unendlich dankbar für das große Privileg, dass mir mit meinem Komparatistik-Studium zuteilwurde. Jeden Tag, im alltäglichen, wie auch im beruflichen Kontext gibt es Gelegenheiten, bei denen ich auf Gelerntes zurückgreife: Allgemeines Textverständnis, Recherche, Analyse, Strukturierung, Feinfühligkeit gegenüber Sprache (die allgegenwärtig ist), aber auch den Mut dazu sich in einen Text fallen zu lassen und auf das Verstehen zu warten. Diese Fähigkeit erscheint mir maßgeblich für das Lernen von Neuem. Es zeigt die Bereitschaft, sich ins Unbekannte zu werfen.

Während meiner Coaching Ausbildung wurde mir erneut klar, wie wichtig mein Studium auch für diesen neuen Ausbildungszweig sein würde. Wir Menschen verbringen einen Großteil unserer Tage damit uns Geschichten zu erzählen – von denen das meiste nicht mal wahr ist. Was ich gelernt habe ist unter anderem Geschichten aufzuräumen. Ich stelle Fragen an den Text (und wir wissen die Macht über den Text liegt beim Leser- aber das ist ein weiteres Themenfeld). Wer sind die Mitwirkenden in dieser Geschichte? Wie sind ihre Perspektiven? Welche Erzählstränge berühren sich? Wer erzählt die Geschichte? Wer kommt in der Geschichte nicht vor? Wie sähe die Geschichte aus einer anderen Perspektive aus? Was passiert faktisch? Welche Stilmittel werden genutzt und warum? Welche Lesarten der Geschichte gibt es? Was wären für Interpretationen möglich und was liegt im Bereich des Unwahrscheinlichen? Wie steht dieser Text in Zusammenhang mit anderen Texten? Worauf bezieht er sich? Welche Texte sitzen an einem Tisch? So gewinnt man an Klarheit und damit auch bis zu einem gewissen Grad Kontrolle über den Text. Gleichzeitig entsteht Demut, vor der Unmöglichkeit des Verstehens in allen Facetten.

Ich möchte dir helfen deine Geschichten aufzuräumen. Man könnte auch augenzwinkernd von Gehirn Feng Shui sprechen. Verschiedene Erzählstränge, welcher ineinander verwickelt sind müssen entwickelt werden, damit Entwicklung Raum bekommt.

Das Bild ist übrigens aus einem traumhaften Bildband von Candida Höfer: Bibliotheken