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Lauter gute Erkenntnisse mittels einer Krise - Episode 1

24. November 2021

 

Wir gehen in die zweite Runde Ausgangssperre. Unsere Reitschule und unser Gästehaus sind erneut geschlossen. Reiten mag zwar als Individualsport gelten, doch organisiertes Training bleibt verboten.


Auch für mein Unternehmen bedeuten diese Einschränkungen einen herben Schlag. Ich fühle mich in meiner Existenz, sowohl gesundheitlich als auch wirtschaftlich, nicht so bedroht wie viele andere Menschen. Ich gestehe jedem sein Recht auf seine individuelle Reaktion zu und möchte keinesfalls unsensibel gegenüber dieser Realität auftreten. Dennoch bestehe ich darauf, mich auf alle positiven direkten oder indirekten Effekte dieser radikalen Veränderungen in meinem Mikro- wie auch Makrokosmos zu besinnen.

Der Wert Pferd

Ich habe durch beide Schließungen das Gefühl gewonnen, dass der Wert unserer Arbeit sichtbarer geworden ist. Sowohl für Kunden und Mitarbeiter als auch für mich persönlich.

Im Jahr 2020 hat sich die Frequenz meiner Kundenkontakte enorm erhöht. Ich höre viel von Sorgen um Kinder und Jugendliche, um die Angst vor der Verängstigung und vielleicht auch der Veränderung. Eltern berichten teils bestürzt darüber, wie sich die Situation auf ihre Kinder auswirkt. Umso glücklicher macht es mich jedes Mal, zu sehen, wie gelöst und frei sich alle Kinder und Jugendlichen im Umgang mit den Ponys fühlen. Sie vermitteln den Eindruck, einfach im Moment zu sein.

Als der Reitunterricht mit einigen Auflagen nach der ersten Sperre erneut beginnen konnte, zeigte sich das Ausmaß der Unsicherheit an den Ponys. Pferde nehmen die Stimmung der Menschen um sie herum deutlich auf. Sie haben zum Beispiel um die Nüstern und die Augen Tasthaare: Vibrissen. Jedes dieser Haare ist direkt mit einem Nerv im Gehirn verbunden. Mittels dieser feinen Haare können Pferde Schwingungsenergien wie etwa Strom wahrnehmen. Bereits nach wenigen Tagen im Reitschulunterricht merkte man, wie die Herde unruhiger wurde. Beim Weidegang müssen die Pferde als freilaufende Herde ein eingezäuntes Stück Weg zurücklegen. Sie kennen diesen Weg und legen ihn regulär problemlos zurück. In diesen Tagen war zu beobachten, dass die Gruppe sich nicht mehr vorwärts traute und zögerlich war. Ein, zwei gelassenere Vertreter fassten sich dann ein Herz, schritten halbwegs mutig voran und zogen den Rest nach sich. Es mag dahingestellt sein, inwieweit sich hier ein Zusammenhang herstellen lässt. Ich folge bei dieser Überlegung eher einem Gefühl als einer wissenschaftlichen Herangehensweise. Sollte mein Gefühl jedoch richtig liegen, haben die sensiblen Tiere viele Emotionen übernommen und verarbeitet.

Erst nach einiger Zeit und mit der Einkehr eines Alltagsgefühls kehrte wieder Normalität ein. Ich frage mich: Sind die Ponys in der Lage die Emotion, „nur“ zu übernehmen - oder leisten sie auch ein „abnehmen“? In dieser Situation wurde mein Wissen um den „Wert Pferd“ für mich greifbar. Auch durch Eltern wird mir die Relevanz unserer Ponys und unserer Arbeit für die Kinder und Jugendlichen gespiegelt. Neben all den Sorgen höre ich auch immer wieder von der großen Wichtigkeit, die unser Hof für so viele Menschen hat.

Das alles ist eine positive Erfahrung, eingebettet in das negative Erlebnis der Corona-Pandemie. Die Kontrastierung durch die momentane Lage und unsere "Ponyhof-Blase" ermöglicht mir mit einer deutlicheren Trennschärfe zu erkennen, was wir verkaufen. Die Zeit am Stall ist nicht einfach nur eine Zeit zu Pferd, sie ist auch eine Erholung von der täglichen mentalen Anstrengung, die wir alle leisten. Egal, in welchem Alter wir uns befinden. Diese Erkenntnis wurde für mich in diesem Jahr umso deutlicher.