Redebedarf im Reitsport
Vor nicht allzu langer Zeit ergab es sich, dass ich einem Wortwechsel zwischen einem Turnierveranstalter und einem Demonstranten beiwohnte.
Der Demonstrant stand mit einer Gruppe Gleichgesinnter vor dem Eingang des Reitsport-Events, um mit Präsenz und Schildern auf die Untragbarkeit der Veranstaltung aufmerksam zu machen. Der Veranstalter absolvierte eine Art kleinen Pflichtbesuch. Man tauschte sich zwei Minuten, relativ belanglos aus und ging auseinander. Das Bedauerliche an der Situation ist, dass es tatsächlich bei einem sehr lapidaren Wortwechsel geblieben ist.
Die FAZ veröffentlichte im Mai 2020 einen Beitrag zur Situation der Reitvereine, während der ersten Lockdown-Maßnahmen. In dem Teaser auf dem Instagram-Bild, welches auf den Artikel weiterleiten soll, fällt das Wort „Notschlachtungen“. Da ich nicht über ein FAZ Plus Konto verfüge konnte ich den betreffenden Artikel nicht lesen. Ich tat also, was die meisten Social-Media-Zeitungsleser tun: Ich las die Kommentare. Dort wurde mir eine Bandbreite an Meinungen präsentiert (deutlich spürbar hier: Die Abwanderung von Facebook-Nutzern zu Instagram. Dazu jedoch an anderer Stelle mehr.) Da finden sich zum einen Pferdefreunde, die entweder mitfühlend reagieren oder Reitschulen kritisch gegenüberstehen. Einige Leser meinen, dass man grundsätzlich nicht reiten sollte und fordern das Ende der Versklavung des Tieres. Es gibt Kritik an der Co2- Bilanz des Pferdes, Kommentare über den gustatorischen Wert und Mutmaßungen über die generelle finanzielle Situation von Reitern. Dann gibt es einige Subdiskussionen und dann bin ich auch bereits ermüdet von dem teilweise unterirdischen Tonfall und der Unsensibilität einem sensiblen Thema gegenüber. Die Frage, ob wir auf Basis eines Textes ein Gespräch führen, oder hier nur Gefühle zum Thema „Berechtigung von Reitschulen“ kundgetan werden, klärt sich für mich letztlich nicht.
Diese und ähnliche Situationen lassen mich stets unbefriedigt zurück.
Alle Beteiligten scheinen wenig an einem konstruktiven Austausch interessiert zu sein. Die Fronten wirken verhärtet. Manifestiert sich hier ein Zeitgefühl oder stehen wir vor einem reitsportspezifischen Problem? Unser Sport ist von einer besonderen emotionalen Qualität. Immerhin stößt das Reiten über den sportlichen Aspekt hinaus viele Fragen an, da ein lebendiges Wesen beteiligt ist. Eines, dass arttypisch stumm bleiben muss und uns weder über Worte noch Geräusche seinen Standpunkt vermitteln kann. Reiter setzen einander also auch untereinander immer wieder, teils undifferenzierter, Kritik aus. Man muss als Reiter somit recht schnell lernen „seinen Stiefel zu reiten“, einer Reitlehre zu folgen und einer Meinung zu glauben. Die Grenzbereiche erscheinen heikel. Was, wenn das geliebte Pferd vielleicht wirklich keine Freude am Springen oder der hohen Dressur hat? Oder was, wenn die reine legere Form der Freizeitreiterei dem Pferd doch eher schadet als es gesund erhält?
Solange wir nicht zuhören und den Gedanken nicht zulassen können, dass auch die andere Meinung richtig sein könnte, und sei sie uns noch so unangenehm, kommen wir nicht weiter. Dieses Zulassen muss zumindest aus dem Grund des „sich daran Abarbeitens“ passieren. Nur über Vergleich können wir zu einer gewissen Trennschärfe in unserer Betrachtung gelangen.
Als Betrachter von verschiedenen Reitsportpräsentationen wie Turnieren, Messen, Reitunterrichten, Online-Auftritten, Print-Darstellungen u.v.m. möchte ich zunächst davon ausgehen, dass wir alle Pferdefreunde sind und das Beste für unsere Tiere möchten. Auch ich kann auf meine Entwicklung zurückblicken und bedaure manche Momente im Zusammenhang mit meinen Pferden. Ich war bestimmt nicht immer so gerecht, so fähig oder umsichtig, wie ich es mir von meinem idealen Ich gewünscht hätte. Doch ich versuche großzügig zu sein, denn wir sind alle, fehlerhafte Menschen und haben ein Recht darauf uns zu verbessern und zu wachsen. Es bleibt die Frage: Wie soll dieses Wachstum entstehen, wenn wir keine Kritik zulassen? Je offener wir dem kritischen Gedanken gegenüber sind, umso höher ist unser Entwicklungspotential. Das bedeutet nicht, dass man nicht stetig genötigt wird auf sein eigenes Gefühl, Wissen und seinen persönlichen Erkenntnis- und Erfahrungshorizont zu vertrauen. Gleichwohl sind wir diese Arbeit an uns selbst, unserem Partner Pferd schuldig. Letztlich haben doch alle Beteiligten ein gemeinsames Interesse: das Wohl des Tieres.
Wie könnte nun ein solch konstruktives Gesprächsformat aussehen? Eines bei dem man alle Parteien an einen Tisch bringt und konstruktiv gemeinsam denkt und das eigene Sichtfeld erweitert. Bei dem radikale Tierschützer, Spitzensportler, Züchter, Händler, Tierärzte und viele mehr beteiligt wären. Wer sind die Stimmen an Eurem privaten, inneren Tisch die sich um einen Dialog ehrlich bemühen?
Ich als Reiterhof-Betreiber begebe mich immer wieder in eine Korrekturschleife. Mehr oder weniger gnadenlos gehe ich mit mir und meiner Arbeit ins Gericht und stelle meinen Betrieb infrage. Ist unsere Haltung noch zeitgemäß? Was bedeutet das Schulpferd-Dasein für meine Ponys? Haben Sie dadurch Nachteile oder auch Vorteile? Wie würde meine aktuelle Wunsch-Situation aussehen? Welchen Wert hat meine Arbeit für die Gesellschaft? Was leistet mein Unternehmen für viele Menschen? Würde ich heute vor der Wahl stehen – würde ich erneut mit Pferden arbeiten wollen? Zuletzt müssen alle Gedanken an der Realität bemessen werden, immer auch am Faktor Wirtschaftlichkeit. Oftmals komme ich aber auch tatsächlich auf Ideen zur Verbesserung. Zumindest aber verbessere ich immer und unweigerlich meinen ethischen Blick auf die Branche. Je stärker ich mich in der Theorie fühle, umso wahrscheinlicher setze ich anschließend in die Praxis um.
Wenn wir nicht bereit sind den Blick auf das Pferd von allen Seiten zuzulassen, wenn es uns nur darum geht unsere Position unantastbar zu machen, dann kann das Pferd nur verlieren und diese Einstellung halte ich für dramatisch. Ich wünsche mir ein konstruktives und offenes kritisches Miteinander und einen Dialog, der von dem Wunsch geprägt ist, das Gegenüber auch zu verstehen.
Gerade von der Reitsportszene sollte dieser Wunsch zu erfüllen sein, denn eigentlich üben wir uns doch täglich im Umgang mit unseren Pferden im Zuhören. Täglich ringen wir um ein Miteinander, ein Verständnis und eine gemeinsame Entwicklung. Und das empfinden wir als Privileg. Unsere Wahrnehmung ist darauf ausgelegt, das zu bestätigen, was wir bereits wissen. Verstehen Sie diesen Text also als Einladung, Ihr Gehirn zu verunsichern. Sie haben jederzeit die unglaubliche Möglichkeit, Ihre mentale Landkarte auf den Kopf zu stellen und zu erweitern. Machen Sie sich einen Spaß aus der eigenen Verunsicherung und erkennen die Möglichkeiten, Ihr Business neu zu denken. Gestatten Sie sich ein mentales Upgrade.