Skip to main content

Weniger Tun, Mehr Fühlen!

27. Januar 2022

Coaching mit Boxsport-Methoden

Wenn ich erzählt habe, dass ich eine Fortbildung zum therapeutischen Box-Coach machen werde, sorgte dies immer für kreative Heiterkeitsausbrüche.

Ja, ich gebe zu, die Vorlage für leichtmütige Späße ist gegeben. Als ich gestern an dem besagten Zertifikatskurs von Ulrike Angermann und Marc Karstens in ihrem PITT - Praxis-Institut für systemische Traumaarbeit, Trauma & Sport teilgenommen habe, war ich sehr beeindruckt. Für mich ist das Boxen im Rahmen des Coachings interessant, während Angermann und Karstens und ihre Absolventen mit teils schwer traumatisierten Menschen arbeiten. Ich halte diese Arbeit für absolut herausfordernd und notwendig und möchte bereits an dieser Stelle meinen Dank dafür aussprechen, dass ich so viele ambitionierte und motivierte Menschen kennenlernen durfte, die sich voller Mut und Sensibilität auch den schwierigen Themen stellen.

Wenn man selbst aus dem Boxsport als Leistungssport kommt, dann ist eine Rekontextualisierung, wie die vom sportorientierten Boxen hin zum therapeutischen Boxen schon ein kleiner Stretch.
Meine erste Einsicht ist jene, dass die Kunst im Mut zur Reduktion liegt. Weniger tun, mehr fühlen, genauer nachspüren. Das Boxen fungiert im Coaching (oder auch der Therapie) nur als Mittel – aber es kann ein unfassbar starker Trigger sein und hier kann man Einladungen finden um als Coach anzusetzen. Viel stärker als im verständnisbasierten Gespräch, wird im Boxen etwas erlebbar gemacht. Die Erfahrung kann nicht nur mit dem Verstand erfasst, sondern mit dem kompletten Körper wahrgenommen werden und sich entsprechend gut verankern.

Einige Feinabstimmungen bereiten mir noch Kopfzerbrechen. Ich kenne das Gefühl, die eigenen Grenzen zu verschieben, den inneren Diskurs zu stoppen und die Verantwortung an den Trainer abzugeben. Vertrauen ist hier das Schlüsselwort – wenn mein Trainer sagt: „Du kannst das noch.“, dann weiß ich, ich kann das noch. Ich stelle meinen Trainer nicht in Frage. Das kann eine erhebende und euphorisierende Erfahrung sein. Man wächst über sich hinaus und kann an sich glauben, indem eine äußere Vertrauensfigur an einen glaubt. Den Körper auspowern und dann zur Ruhe kommen, die eigene Schwere fühlen und sich in einen meditativen Zustand begeben, in dem man nur noch seinem Atem folgt, auch das gehört für mich zu den Leistungen des Boxsports.
Doch wenn ein Coachee sowieso schon in der Tendenz ist immer über seine eigenen Marker hinwegzugehen, dann ist es an der Zeit, dem eigenen, inneren Trainer die Vertrauensfrage zu stellen und die eigenen Ziele und Antreiber herauszufiltern. Wo befinde ich mich in der Komfortzone – und liegt meine Komfortzone eventuell in der Betäubung durch Selbstüberlastung. Was begegnet mir in der Ruhe? Wo finde ich Anerkennung und durch wen? Entscheidend ist meines Erachtens die Zielsetzung – und die ist nur in den seltensten Fällen Wettkampfvorbereitung.
In der Fortbildung stellt Angermann unter anderem eine Übung vor, in der man z. B. die Emotion Wut anhand einer Beispielgeschichte skaliert und dann in einen Schlag umsetzt. Hier zeigt sich eindrucksvoll, wie unser Körper unser Gehirn manchmal korrigiert. Als rationale Wesen vermuten wir manches als verarbeitet oder erlauben es uns nicht, eine Emotion in ihrer vollen Reichweite zu fühlen, aufgrund gesellschaftlicher Konventionen. Wenn der Schlag dann aber unseren eigentlichen Schmerz offenbart, wird die innere Verletzung erst offenbar. So steht manch einer verblüfft vor der Intensität und erfährt somit die Gelegenheit der reellen Aufarbeitung.

Im Coaching kann mit den Boxtrainings an verschiedenen Punkten angesetzt werden, wie beispielsweise Stressprävention, Selbstwahrnehmung, Wutbewältigung und Frustrationstoleranz. Aber auch das Finden der Mitte, das bei sich bleiben, Ruhe und Atmung in stressigen Situationen, Druck ausüben, aushalten und umleiten, führen und folgen und auch Respekt und Fairness.

Ich freue mich viele spannende Übungen mitgenommen zu haben, viel neues Wissen (auch über mich selbst), viele bereichernde Begegnungen, spannende Denkansätze und ein offizielles Zertifikat.
Danke an Ulrike Angermann & Marc Karstens für diese Möglichkeit und die seriöse und souveräne Durchführung!